Sonstige Reiseanekdoten
Wie ihr oben schon lesen konntet, war die Tour insgesamt ziemlich entspannt –
kritische Momente gab es nur wenige: zwei ABS-Bremsungen und vier Eingriffe der Traktionskontrolle.
Die erste Vollbremsung passierte an der Riviera, kurz nach Genua. Das Auto vor mir stand plötzlich auf der Bremse – Grund: ein Fußgänger, der es tatsächlich wagte, an einem Fußgängerüberweg die Straße zu überqueren. Frechheit! Zum Glück haben meine Reflexe und das ABS tadellos funktioniert. Die zweite Bremsung war in den Apenninen, als ein Hund ohne Zebrastreifenpflicht querte. Auch da: alles gut gegangen.
Die Traktionskontrolle hat viermal eingegriffen – jedes Mal bei trockener Straße, aber auf weißen Streifen oder Fußgängerüberwegen, wenn ich etwas beschleunigt habe (Kolonnenspringen lässt grüßen). Mit meinen bisherigen Benziner-Reifen hatte ich so etwas nie – und eigentlich sollte eine italienische Firma wie Pirelli auf italienischen Straßen besser performen.
In Bourg Saint Maurice (E) wurde es
gesellig: fünf Motorradfahrer aus Wuppertal und elf von der Ostalb kamen ins gleiche Hotel. Die Wuppertaler haben mich direkt adoptiert – ein sehr netter Abend!
Die Fahrt zur Cime de la Bonette war ein Traum: 45 Minuten die
Passstraße komplett für mich alleine. Postkartenwetter, traumhafte Landschaft – und Murmeltiere, die wohl so früh noch keinen leisen Besucher erwartet hatten.
Nach dem Izoard formierte sich zufällig eine kleine „multinationale“ Gruppe: zwei Deutsche, zwei Italiener.
Am Col de Vars wurde es sportlicher. Einer der GS-Fahrer versuchte, sich abzusetzen – in den Kehren machte er tatsächlich mehr Schräglage, aber beim Rausbeschleunigen war mein Drehmoment einfach zu viel. Als er mich vorlassen wollte, habe ich dankend abgewunken. Oben am Pass gab’s dann ein freundschaftliches Fachsimpeln – er auf dem Weg zur Côte d’Azur, ich zur Toskana.
In Menton war ich mit dem Laden fertig und hatte schon abgesteckt, da fuhr ein Tesla S ein und steckte das Kabel ein.
Dann kam er zu mir und teilte mir im besten Französischenglisch mit, dass das verboten ist. Wenn die Polizei das mitbekäme, würde ich einen Strafzettel bekommen.
Auf meine Rückfrage „Was ist denn verboten?“ meinte er, dass der Platz für Elektroautos reserviert wäre.
Ich habe ich dann korrigiert: Der Platz ist für Elektrofahrzeuge reserviert und ich dürfte hier stehen.
Seine Reaktion: „Nein, Motorräder dürfen das nicht.“ Ich:“ Elektromotorräder dürfen das!“
Dann wurde er nachdenklich und lief erstmal um mein Motorrad herum. Dann die vorsichtige Frage: „Ist das elektrisch? Gibt es die schon?“ Ich habe ihm dann die Ladebuchse gezeigt.
Er hat dann noch die übliche Frage gestellt und sich dann höflich verabschiedet
Am Passo del Bracco (19) wurde ich von einem Italiener im T-Shirt und Jeans auf einer japanischen Supersportlerin überholt. Er fuhr so flott, dass ich nach zehn Minuten abwinkte – kannte die Strecke zu gut und legte Schräglagen in unübersichtlichen Rechtskurven hin, die mir einfach
zu heiß waren.
Vor dem Ofenpass (26) warteten wir alle brav an einer Baustellenampel: Harley-Fahrer, KTMler – und ich. Viele guckten irritiert, weil mein Motorrad im Stand nichts von sich gab. Einer suchte verzweifelt nach meinem Auspuff – fast wäre er dabei umgekippt.
Die
schnelle KTM-Truppe „begleitete“ mich dann über den Umbrail (27) zum Stilfser Joch (28). Die Südrampe runter sind wir von oben in die Wolken eingetaucht und ich habe dann bei ca. 2000m Höhe gewendet. Auf dem Rückweg zum Joch klebte ein
silberner Lotus hinter mir. In den Kurven immer knapp an mir dran, nach den Kurven konnte ich wieder Abstand machen – vier Reifen bremsen eben besser als zwei. Auf der Franzenshöhe(P) haben wir uns dann getroffen: Er begeistert von meiner Beschleunigung aus den Kehren, ich von seiner Kurvengeschwindigkeit.
Nebenbei habe ich dort auch einen
Radfahrer wiedergetroffen, den ich bergauf überholt hatte. Er war aus
Seattle und mit Bruder und Freundin unterwegs – Respekt vor dieser Leistung. Er wiederum staunte über mein lautloses Vorbeiziehen.
Ein Highlight: Am Sonntag 14. September gegen 9:30 begegnete mir bei Kehre 15 am Stilfser Joch eine weiße
ZERO SR/S – das einzige andere Elektromotorrad der ganzen Tour das ich bemerkt habe.
Auf den Pässen sucht jeder für sein Motorrad die Ideale
Posing-Position. Dank meinem
Rückwärtsgang hatte ich viel mehr Auswahl. Denn wo ich vorwärts rein fuhr kam ich mit Rückwärtsgang immer alleine wieder raus.
In Isny nutzte mein Freund die Gelegenheit für eine
Probefahrt. Als eingefleischter BMW-Fahrer (R1300GS, R9T, F800GS) war ihm mein Motorrad „zu kippelig“ und hatte „zu wenig Motorbremse“. Trotzdem war er bei 150 km/h!
Ich deute das mal so:
kippelig = wendiger als seine BMWs, Motorbremse = Rekuperation erzeugt mehr Energie aber bremst weniger, und 150 km/h = die Beschleunigung hat ihn gepackt.
Als
Freizeitmotorradfahrer bin ich mit dem guten Gefühl nach Hause gekommen, dass ich durch mein Hobby weder Menschen mit Lärm genervt noch Abgase hinterlassen habe. Dank der besonderen Physik des E-Motorrads hat das Fahren sogar noch
mehr Spaß gemacht – leiser, sauberer, leichter, aber keineswegs langweiliger. Es ist eindeutig die
Zukunftstechnik fürs Hobby Motorrad … wobei, ehrlich gesagt:
Für mich ist es schon Gegenwart.
Ach ja: Schon vor der Tour hatte ich mir ein T-Shirt mit Symbolen bedrucken lassen. Sehr praktisch – statt radebrechendem Multilingualismus musste ich unterwegs oft nur auf meine Brust zeigen.