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Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: Sa 20. Jul 2013, 20:40
von STW
Lange ist es her, dass ich ein Thema eröffnet habe. Jetzt lohnt es mal wieder. :D

Gestern kam die Mail eines Forenkollegen, dass sein Sprinter 60 tot sei. Er wollte ihn anschalten, nichts tat sich, leichte Geruchsentwicklung. Der Sprinter war schon seine Nr. 2, entstanden aus den eine Zeit lang erhältlichen Bausätzen, Nummer 1 starb mit Rahmenbruch. Einige Ersatzteile wären wohl noch übrig.

Nun denn, erst einmal auf der Karte gecheckt, wo es hingeht, voraussichtliche Entferung 38km. Ideal bei dem schönen Wetter für einen längeren E-Rollerausflug. Los ging es aus brandburgische Berlinrandlage, durch Spandau und in die bis dahin mir unbekannte wunderschöne Havelchaussee. Ein erster kurzer Halt erfolgte am Grundewaldturm, der unserem Kaiser gewidmet ist.
1-Grunewaldturm.JPG
Weiter ging es, vorbei an der Spinnerbrücke, Berlins beliebter Treffpunkt für Harleys. Ich verkniff mir, mit meinem Roller dazwischen zu parken und für ein Foto zu posen, immerhin gab es ja noch etwas zu tun.

Wenig später kam ich an, anstelle eines roten Teppichs war eine 230V-Leitung für mich ausgerollt. Also erst einmal Roller geparkt und das Ladegerät angeschlossen.

Dann ging es zum Sprinter, eine erste Sichtprüfung machen. Das Helmfach war schon draußen. Auf Anhieb keine Schwachpunkte zu entdecken, bis auf eine leicht geblähte Zelle.
2-Zellen.JPG
Ein BMS ist nicht vorhanden, die Strangspannung bei über 56V - das kann auf Dauer nicht gutgehen, erklärt aber nicht den Rollerstillstand.

Licht usw. funktioniert, also Schlüsselschalter intakt, ebenso der DC-Konverter. Nur der Griff am Gasgriff ergab rein gar kein Ergebnis.

Erste Prüfung: das Hinterrad ist leichtgängig, also kein Phasenschluß der Motorleitungen oder eine defekte Transistorbank im Controller.

Zweite Prüfung: am Gasgriff liegen 5V an, das ist ok. Ebenso können Spannungsschwankungen zwischen dem Mittelabgriff und einer der spannungsführenden Leitungen bei Betätigung des Gasgriffs gemessen werden. Ergebnis: ok.

Überprüfung der Hallsensoren: 5V liegen an, an jedem Sensor sind Spannungsschankungen zu messen, wenn das Hinterrad gedreht wird. Ergebnis: ok.

Der Strom wird abgeschaltet, und der Widerstand zwischen den Motorphasen gemessen (Motor ist noch mit Controller verbunden). Je nach Meßrichtung 2.3 bzw. 3.4 Ohm zwischen allen Phasen. Ergebnis ok.

Nach meinem Dafürhalten kann es nur noch der Controller sein. Ich will zumindest mal einen Blick hineinwerfen, und außerdem konnte ich auf Sicht an keiner Komponente erkennen, wo der wohl kurzzeitig wahrnehmbare Schmorgeruch hergekommen sein sollte.

Ein guter Zeitpunkt, um die Sicherung zu entfernen und die offenliegenden Anschlüssse abzukleben. Der Controller wird danach nach Lösen der Halteschrauben zur Seite geklappt und dann eine unangenehm hohe Anzahl von weiteren Schrauben entfernt. Ein Aufklappen ergibt folgendes Bild:
3-Controller.JPG
Ruß wo man hinschaut, das Zentrum liegt in der Nähe des Steuerchips. Zeit für die erste Zigarette, der Controller ist nicht zu retten. Aber der alte Controller von Nr. 1 ist ja noch da.
Also erst einmal die Verkleidung ab - ich hasse chinesische Rollerverkleidungen, überall Nasen, die nicht nur so aussehen, als ob sie abbrechen können, sie tun es auch bei jeder Gelegenheit. Gut, von der Optik besteht der Roller eh schon aus viel Tape, das einige andere Verkleidungsteile zusammen hält.
Dann wird die Verkabelung gelöst, 3x Motorphase (vorher Foto machen, falls man sich die Farbe nicht merken kann), Plus und Minus, Hallsensoren, Gasgriff, und noch zwei Leitungen (Bremse und Seitenständerschalter).
Die Ringösen des Altcontrollers werden mit 3000er Schleifpapier auf Hochglanz gebracht, dann erfolgt die Verkabelung. Lediglich an den Motorphasen bricht man sich einen ab.
Letzter Job Sicherung wieder einbauen, dummerweise habe ich keine Überbrückungslampe dabei, ich muß also mit dem Funkenschlag leben. Heftig.

Der erwartete Moment kommt: Zündung an, leichter Griff am Gasgriff - hurra, er dreht.

Zeit für die nächste Zigarette, danach Kaffee und Kuchen (besten Dank, lecker).

Der Zusammenbau ist dann Fleißarbeit, gut, dass ich den Helmfachmechanismus checke, bevor die Klappe zugeht - Mist, das Kabel hat sich ausgehängt. Nach etwas mehr als 3 Stunden steht der Roller wieder in einem Stück vor uns.

Genau zu dem Zeitpunkt hat meiner fertig geladen - 1.5KWh sind ok für 38km. Allerdings war mehr als ein Drittel davon Tempo 30-Zone. Zurück kann ich es also etwas zügiger angehen.

Der Sprinter begleitet mich die ersten 2-3km, der zieht ganz gut ab, etwas besser als meiner. Allerdings hat meiner dann doch die höhere Endgeschwindigkeit, so dass sich beide Roller nicht viel nehmen.

Irgendwann muß die Blähzelle getauscht werden und ein BMS hinein - naja, nicht die nächsten Wochen, da habe ich zu tun, und ich will mal warten, welche Erfahrungen Joehannes mit seinen Neuerwerbungen macht.

Zurück geht es eine längere Strecke, rund 46km, vorbei nochmals an der Havel.
4-Havel.JPG
Fazit: wenn ein Händler die wesentlichen Ersatzteile hätte, eine Diagnose erstellen kann, dann wäre eine Reparatur in locker 2-3 Stunden abgewickelt. Mir hat es Spaß gemacht, insbesondere, weil das Projekt erfolgreich war, und ich trotz mehr als 80km keinen Rücken habe :D
Achja, ich muß mal wieder mein Lenkkopflager nachziehen, das ruckelte doch erheblich.

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: Sa 20. Jul 2013, 20:59
von Joehannes
Wenn man natürlich einen Ersatzcontroller parat hat ist das schon die halbe Miete.
Der Neuerwerb schwächelt aus Informationsmängel vom Hersteller.
Ich hab ihn aber Heute wieder angeschrieben.

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: Sa 20. Jul 2013, 21:03
von MEroller
Herrliche Geschichte und schöne Bilder! Danke STW :-)

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: Sa 20. Jul 2013, 21:37
von Night Hawk
Danke für den hoch interessanten Beitrag!

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: So 21. Jul 2013, 13:07
von gernot
Ich war gestern in der glücklichen Lage, von STWs beeindruckender Kompetenz profitieren zu dürfen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit, viel Verstand, Geduld und großer Lässigkeit hat er ein für mich ansonsten unlösbares Problem aus dem Weg geräumt.

Toll, daß es dieses Forum und so tolle Leute gibt! Danke, STW!

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: So 21. Jul 2013, 16:47
von MEroller
Interessante Beobachtung von Alfred. Es sieht tatsächlich so aus, als wäre die Explosionsquelle der Verrußung irgendwo hinter der grünen LED zu suchen, da wo die FET-Bank senkrecht aus der Platine ragt. Von dort scheint die Verrußung wie ein Bombenkrater kegelförmig durch den Raum gezogen zu sein...

Verfasst: So 21. Jul 2013, 17:59
von STW
An die FETs glaube ich nicht - es sah eher so aus, als ob das Unglück davor passiert ist, entweder ein SMD-Bauteil oder die Platine. Ich hatte mal einen ähnlichen Schaden auf einem Computermainboard, bei der einfach mal so eine Leiterbahn ohne Grund verdampft ist. Die FETs sahen alle noch bis auf den Ruß ok aus, kene Krater, keine Risse. Auf einem anderen Foto in meinem Bestand sieht man es etwas deutlicher, es sieht auch da so aus, als wäre zwischen Steuerchip und FETs entweder ein Bauteil in Nanoteile zerlegt worden ist oder aber die Platine hat einen kleinen heftigen Schmorbrand gehabt.
Beim Öffnen des Controllers kamen außerdem noch einige kleine Lötzinnkrümmel zum Vorschein. Ob die sich jetzt erst im Schmorfall verselbständigt haben oder aber schon vorher drin waren (und evtl. die Ursache des Unglücks) ließ sich nicht mehr ermitteln.
Ebenso waren alle Messungen an den Motorphasen (noch verbunden mit dem Controller) unauffällig und der Motor ließ sich von Hand ohne Widerstand drehen, aber machte auch keinen Mucks beim manuellen Anschieben, ich würde die FETs ausschließen wollen.

Andere Problematik: Ruß = elektrisch leitend, es wäre ein kleines Wunder, wenn es nicht noch weitere Teile gerissen hätte. Wären noch die anderen FET-Bänke von der Steuerelektronik geschaltet worden, hätte zumindest noch ein Motorruckeln in einigen Positionen auftreten müssen.

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: So 21. Jul 2013, 19:28
von Haro
Auch von mir herzlichen Dank, STW, für deine Checkliste in deinem Themeneröffnungs-Beitrag. Die sollte ich mir kopieren und aufbewahren, für meinen nächsten Rollerdefekt.

Solch planmäßiges, überlegtes Vorgehen würde man sich von den angeblichen professionellen Rollertechnikern auch wünschen.
Sonst passiert das: beitrag.php?p=26056

Re: Reparatur-Ausflug Sprinter 60

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 14:11
von gge
@Gernot

Habe gerade wieder gefunden, dass du der das mit dem doppelten Rahmenbruch in einem frühreren Thread warst. Ich wäre immer noch
an Bildern interessiert. Vielleicht hast du ja noch die Möglichkeit. Wäre nett und hilfreich.

@STW @Gernot

Wenn der Controler schon auf ist eine Frage: Kannst du sagen welche Spannungen die Kondensatoren im Controler vertragen. Was ist den aufgedruckt?


Vielen Dank
mfg

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 22:10
von STW
Auf die Spannungen habe ich nicht geachtet, war mir alles zu verrußt. Auch auf den Fotos habe ich nirgends die Spannung dabei. Positiv zu vermerken ist, dass keiner der Elkos ein "Häubchen" hatte, das sind 105°-Typen und anscheinend geeignet für den Zweck.